Folgender Artikel erschien in der Süddeutschen Zeitung auf Seite 53 am 16.Mai 2001 (Bilder wurden weggelassen)

"Bonan vesperon!"

Kampf für eine sprachgrenzenlose Welt: der"Esperanto-Klub München"

Von Kassian Stroh

Vor 20 Jahren traf Fritz Hilpert in Brasilien die Frau, die seine Gattin werden sollte. Und dies, obwohl Hilpert kein Portugiesisch sprach und seine Auserwählte weder Deutsch noch Englisch. Eine Sprache allerdings beherrschten sie beide: Esperanto. Die Verständigung muss so gut gewesen sein, dass sich die beiden schließlich in Deutschland trauen ließen, wobei auch der Priester Esperanto sprach, mit Sondergenehmigung vom Bischof.

Die Geschichte kommt bei Hilperts Kollegen vom "Esperanto-Klub München" naturgemäß gut an. Sieben von ihnen haben sich an diesem Abend mit einem fröhlichen "Bonan vesperon! " (Guten Abend) begrüßt; im Hansa-Haus an der Briennerstraße treffen sie sich zum wöchentlichen Stammtisch. Gesprochen wird eine künstlich geschaffene Sprache, die seit mehr als hundert Jahren auf ihren Durchbruch wartet. Mit ihr sollte die Welt eine bessere werden - und auch heute noch halten die Esperantisten ein bisschen an dieser Idee fest.

1887 entwickelte der polnische Arzt Lazarus Ludwig Zamenhof die Plansprache als Beitrag zur Völkerverständigung. Esperanto sollte für jedermann zur Zweitsprache werden, denn: Wo sich alle verstünden, da gäbe es weniger Krieg. In München fasste die Bewegung schon vier Jahre später Fuß; damit gehört die Stadt zu den Wiegen von Esperanto. "Allerdings stagniert unsere Mitgliederzahl seit Jahren bei rund 150", sagt Hilpert, zweiter Vorsitzender des Klubs, bedauernd. Hinzu kämen noch einmal 40 Mitglieder der Esperanto-Jugend. Weltweit seien es wohl drei Millionen Sprecher.

Esperanto ist also weit entfernt davon, Zweitsprache für alle zu sein. "Wir sind uns der Utopie dieses Ziels auch bewusst", gibt Hilpert zu. Ist Esperanto also doch nur ein Hobby? Ja, die meisten Esperantisten machen das, weil sie auf der ganzen Welt Leute treffen und kennenlernen können", sagt der 48-Jährige.

Ihm selbst bedeutet Esperanto wohl doch ein wenig mehr: "Man schwimmt gegen den Strom, wenn man für diese Sprache kämpft."

Die Welt also hat Esperanto bislang nicht angenommen, dafür haben sich die Esperantisten eine kleine Welt für sich geschaffen: eine Welt mit eigenen Zeitschriften und Radiosendungen, mit einer Fülle an Literatur, mit Vereinen in rund 100 Ländern, deren Delegierte sich jährlich zu Weltkongressen treffen. Die Esperantisten haben sich sogar ein internationales Adressverzeichnis namens "Pasporta Servo" geschaffen, mit 900 Sprechern, die Gesinnungsgenossen aus aller Welt bei sich aufnehmen. Eine von ihnen ist Aloisia Donat aus Gröbenzell, bei der im Schnitt alle zwei Monate ein Esperantist für ein paar Nächte Station macht: "Ich bin im Ort sicherlich diejenige, die in ihrem Leben mit den meisten Ausländern gesprochen hat."

Läppische 20 Kursabende Esperanto habe er gebraucht, um das Niveau von zehn Jahren Englischunterricht zu erreichen, erinnert sich Hilpert. Die Grammatik? Beruht auf gerade mal 16 Grundregeln. Der Wortschatz? Zusammengesetzt aus den wichtigsten europäischen Sprachen. Für jede Wortfamilie ein Wurzelwort, zum Beispiel "baki" für Backen. ,Zusammen mit zehn Vor- und 25 Nachsilben kann, dann eine Vielzahl von Wörten gebildet werden: Die Nachsilbe "ej" etwa steht für den Ort, wo etwas geschieht, "o" kennzeichnet ein Hauptwort. Also ist "bak-ej-o" die Bäckerei. Die ersten Texte könne man schon nach dem ersten Abend lesen, behauptet Hilpert. "Esperanto ist kinderleicht."